Kolumne

Pannonisch schanghaien

Auch Pannonien leidet unter dem gastronomischen Personalmangel. Manchmal findet sich aber auch eine sehr pannonische Lösung dafür

 

Unlängst hat die Wirtin ein Thema angeschnitten, das alle Wirten und Wirtinnen derzeit anschneiden: dass sich niemand die Arbeit mehr antun will, die im Wirtsgeschäft eben notwendig ist. Das ist nicht nur im Pannonischen so, aber, so dozierte der blaurote Methusalem: „Hierzulande hat man sich gerade im Wirtsgeschäft dreißig Jahre lang durchgewurschtelt.“ So billige wie willige Ungarn und Slowaken hätten der austropannonischen Gastronomie zu einer Scheinblüte verholfen. Der Blaurote sagt öfters solche Sachen. Aber er hat, muss auch die Wirtin zugeben, nicht unrecht. Der wegen seiner G’scheitheit sogenannte Siebener hob schon an zu einer Brandrede über die Knausrigkeit von Wirtsleuten und die Verderbtheit von Life-Work-Balance-Ideen der heutigen Jugend, da fiel ihm der jüngere der zwei Jakobiner – ungewöhnlich, denn für gewöhnlich schweigt er – ins Wort. „Darf ich die G’schicht erzählen, Wirtin?“ Sie nickte.

Heller Nachmittag war es. Der kleine Jakobiner war der einzige Gast. Die Wirtin tat, was man herumkraudern nennt. „Da sind auf einmal zwei junge, sportliche Mädels hereingekommen. Bunte Trikots. Ein bisserl verschwitzt. Durstig.“ Radlerinnen vom nahen Radweg. Sie orderten zwei weiße Spritzer. Eine fragte, ungarisch akzentuiert, ob man eh mit Karte zahlen könne. „Sajnos, nincs“, erwiderte die Wirtin. Erbarmte sich aber, als sie den Jammer sah in den durstigen Gesichtern. „Ihr werdet’s schon wieder vorbeikommen. Dann ist auch Zeit genug zum Zahlen.“ Die drei Frauen kamen ins Reden. Die Wirtin klagte auch ihnen das Leid mit den Lajt. Gewohnheitsmäßig fragte sie: „Mag nicht ejpa eine von euch?“ In der Tat: Seither ist die Tünde ein, zwei Mal in der Woche da. Sie lebt in Sopron, arbeitet dort, work-life-gebalanced, halbtags. Auch der Gemahl verdient. Weiß der Kuckuck, warum sie sich nun uns auch noch antut. Der ältere der zwei Jakobiner glaubt: „Wahrscheinlich hat sie einen Narren gefressen an diesem schönen Haus.“ Sicher ist nur, dass wir sie längst ins Herz geschlossen haben. Weshalb selbst der Blaurote manchmal auf Hochdeutsch radebrecht, damit die Tünde auch ja alles verstehe. Aber mittlerweile hat sie sich eh eingehört ins Lokale. Die verbliebenen Ödenburger Poncichter reden nicht viel anders. Der blaurote Methusalem, ein alter Chinafahrer bekanntlich, fing nun an, übers Schanghaien zu erzählen; der Seefahrerkunst, den Fachkräftemangel durch Kapern von unvorsichtig durstigen Kneipenbesuchern zu lösen. „Das pannonische Schanghaien geht anders. Da werden die Durstigen bezirzt. Gut gemacht, Wirtin.“ Die bedankte sich artig. War aber in ihrer Rede längst schon bei jenen komischen Dorfschulzen und -schulzinnen, die dem endlichen Hin und Her im so lange zerrissen gewesenen Pannonien auf einmal wieder Steine, Poller und jene Bretter in den Weg legen, die sie normalerweise vorm Kopf tragen.