Kolumne
Zwischen den Reben lesen
Mein Alltag als Weinbäuerin, auf einem Familienweingut, ist geprägt von meist spannenden, manchmal herausfordernden, aber auch oft witzigen Momenten. In meinen Beiträgen möchte ich euch einen Einblick in mein Leben zwischen Reben und Keller geben, von den Sonnen- und Schattenseiten des Weinbaus erzählen und euch an den Geschichten, die das Leben auf einem Weingut schreiben, teilhaben lassen. Doch neben all diesen Erlebnissen gibt es auch Herausforderungen, die in dieser Branche speziell als junge Frau, auf mich zukommen. Denn als weibliche Person in einer Männerdomäne wird man gerne und oft unterschätzt.
Die Frau am Traktor
Vor kurzem hatte ich wieder ein solches Erlebnis, das beispielhaft für viele Situationen, denen ich immer wieder als Winzerin begegne, steht. Es geschah bei einer Weinverkostung, als drei ältere Herren auf mich zukamen und das Foto meiner Familie sahen. Darauf posieren wir zu viert, meine Eltern Claudia und Werner, meine Schwester Anna und ich im Weingarten. Einer der drei Männer wandte sich zu mir und sagte: „Da haben Sie sich aber extra für das Foto in den Weingarten gestellt!“ Ohne zu zögern erklärte ich, dass ich fast täglich im Weingarten bin. Sein erstaunter Blick verriet, dass er meine Worte nicht erwartet hatte. Doch er ließ nicht locker und fuhr grinsend fort: „Aber sicher nicht auf dem Traktor.“ Mit einem Lächeln erwiderte ich: „Oh doch, genauso.“
Der Blick des Mannes war sehr überrascht und es herrschte kurze Stille, bis er mir seinen Respekt erwies. Diese kurze Begegnung verdeutlicht nur allzu gut, wie oft Frauen in der Weinwelt unterschätzt missverstanden werden.
Ein erfolgreicher Trick
Eine ähnliche Situation erlebte ich, während einer meiner ersten Fahrten mit dem Traktor. Damals wurde mir schnell bewusst, dass das Traktorfahren als Frau für viele Menschen, insbesondere für die ältere Generation, ungewöhnlich ist. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir eine Ausfahrt, als ich zum ersten Mal mit der Pflanzenschutzspritze unterwegs war und noch etwas unsicher am Steuer saß. Ich versuchte, zwischen die engen Weinbergreihen hineinzufahren und brauchte dabei mehrere Anläufe, um mein Ziel zu erreichen. Genau in diesem Moment, als ich bereits nervös war, fuhr ein älterer Herr mit seinem Elektroroller vorbei und blieb stehen, als er mich „junges Mädl“ am Traktor sah. Sein neugieriger Blick verstärkte meine Anspannung nur noch mehr und plötzlich wollte gar nichts mehr funktionieren. Als ich bemerkte, dass es aufgrund meiner Aufregung keinen Sinn hatte, es weiter zu versuchen, griff ich nach meinem Handy und tat so, als würde ich telefonieren - in der Hoffnung, dass der Mann weiterfahren und mir nicht länger zusehen würde. Ich war selbst verwundert, aber es hat tatsächlich funktioniert.
Witzige Randnotiz an dieser Stelle: Dieser Trick wird von mir noch heute erfolgreich angewandt, wenn ich nicht möchte, dass mich jemand beim Traktorfahren beobachtet.






Mit einem Schmunzeln erinnere ich mich an diese Momente, die ich als Winzerin immer wieder erlebe. Doch trotz der Herausforderungen und Vorurteile, die meine Kolleginnen und ich meistern, liebe ich meinen Beruf. Jede neue Erfahrung, sei es im Weingarten oder im Keller, ist für mich eine Gelegenheit zu wachsen und mich weiterzuentwickeln. In diesem Sinne lade ich euch ein, mit mir durch die Weinberge zu streifen und die vielfältige Welt des Weinbaus zu entdecken.
Eine Kolumne von Lisa Reichardt