Heute

Das ist das größte Infrastrukturprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg

Burgenland-Energie-Chef Stephan Sharma im Interview über die große Sucht nach Öl und Gas, die Arbeit an der Energie-Wende, den Umbau unseres Wirtschaftssystems und das weltweite Interesse am burgenländischen Weg. 

Botschafter aus Südamerika haben sich das burgenländische Energiemodell vor Ort angesehen; Landtagspräsidentin Dunst und Sharma haben sie sehr gerne empfangen © Elena Vinogradova

Herr Sharma, seit dem Krieg in der Ukraine ist die europäische Energieversorgung von massiven Störungen bedroht. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?

STEPHAN SHARMA: Ich bin seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Energiebranche tätig und ich muss ganz offen sagen: So eine Situation hat es noch nie gegeben. Das hat eine ganz andere Dimension als zum Beispiel die zwei Ölpreis-Krisen in den 1970er-Jahren. Wir haben es heute mit einer neuen Kombination zu tun: Einerseits explodieren die Preise und andererseits herrscht Unklarheit, ob überhaupt noch genug Energie zu uns kommen wird.

Wie sind wir in diese Situation gekommen?

Der Hauptgrund ist, dass wir unser Wirtschaftssystem auf fossile Energieträger aufgebaut haben. Über viele Jahrzehnte war es leichter, Energie aus dem Ausland zu importieren als sie selbst zu erzeugen. Das ist lange gut gegangen. Öl und Gas waren relativ günstig und die Versorgung war stabil. Das hat uns langsam, aber sicher abhängig von diesen Energieträgern gemacht. Man kann sich das wie bei einer Droge vorstellen. Sobald man abhängig ist, kann der Dealer am Preis drehen und mit Unsicherheiten spielen. Das ist die Situation, in der wir uns in Europa heute befinden.

Hat das Burgenland hier im Vergleich zu anderen Regionen einen Vorteil, weil es viel früher als andere auf die Produktion von erneuerbarer Energie umgestellt hat?

Ja, das Burgenland ist sehr gut aufgestellt. Der burgenländische Energiemix besteht bereits heute zu 50 Prozent aus erneuerbarer Energie. Das heißt, die Hälfte der Gesamtenergie, die im Burgenland verbraucht wird, stellen wir auch im Burgenland mit Sonne und Wind her. Zum Vergleich: In Gesamt-Österreich sind das nur rund 30 Prozent und im EU-Schnitt nur rund 20 Prozent. Wir sind hier ein echter Vorreiter. Das Problem ist, dass das nicht reicht. Denn die anderen 50 Prozent unseres Energiebedarfs müssen wir immer noch importieren. Die Autos fahren etwa überwiegend mit Öl und wir heizen mit Öl und Gas; und vor allem, wenn die Sonne nicht scheint, brauchen wir zusätzlich Strom. Das Team der Burgenland Energie arbeitet zurzeit Tag und Nacht daran, diese Abhängigkeit laufend zu verringern.

Wir können unser Ziel aber nur erreichen, wenn möglichst viele Menschen mitmachen.

Stephan Sharma, Geschäftshührer Burgenland Energie 

Welche Strategie geben Sie dabei vor?

Landeshauptmann Hans Peter Doskozil wie auch die Burgenland Energie AG haben bereits lange vor dem Ukraine-Krieg öffentlich das Ziel festgelegt, dass wir im Burgenland bis 2030 energieunabhängig und klimaneutral  sein wollen. Viele haben das damals kritisiert und geschrieben, das sei zu ambitioniert und obendrein unnötig. Die Kritiker von damals sagen uns heute, dass wir dieses Ziel nun eigentlich schon 2022 erreichen müssten. Das bestätigt den Weg, den wir eingeschlagen haben. Wir können unser Ziel aber nur erreichen, wenn möglichst das ganze Land an einem Strang zieht. Wenn möglichst viele Menschen mitmachen. Energieunabhängigkeit kann man nicht diktieren, sondern sie muss von unten kommen.

Wieso ist diese breite Beteiligung für den Erfolg der Energiewende so wichtig?

Das klingt jetzt vielleicht hart, aber es ist heute nicht mehr unser Geschäftsmodell, Strom und Gas zu verkaufen. Wir sehen uns nicht mehr als Energieversorgungsunternehmen. Warum? Weil die Zukunft aus unserer Sicht darin besteht, dass sich jeder seinen Strom und seine Wärme selbst produziert. Die Devise muss also lauten: Produzieren statt Kaufen. Das ist die Grundidee unserer Strategie. Unsere wichtigste Aufgabe dabei ist, diesen Umstieg in Richtung Eigenproduktion so einfach wie möglich zu machen. Energie zu produzieren muss so leicht und selbstverständlich werden wie am Abend den Fernseher einzuschalten.

Wie wollen Sie das erreichen?

Dieser Umstieg ist für uns als Unternehmen natürlich ein Riesenaufwand. Aber das muss im Hintergrund bleiben.

Diesen Aufwand beim Umstieg müssen wir dem Kunden abnehmen. Sei es die Beschaffung der Anlage, die Genehmigung, Förderungen, die Wartung oder die Finanzierung. Nehmen wir allein die Kostenfrage: Eine Photovoltaikanlage kostet zwischen 10.000 und 20.000 Euro. Das können viele nicht aufbringen. Das ist ganz normal, denn die Menschen haben in unserer schwierigen Zeit natürlich andere Sorgen, für die sie ihr Geld brauchen. Daraus ist die Idee entstanden, dass wir das Ganze umdrehen müssen. Dass wir alles finanzieren und uns um alles kümmern und dass der Kunde unsere Leistung dann in Form eines Abos in Anspruch nimmt. Wie bei Netflix. Und ab einer gewissen Anzahl von Jahren geht die Anlage dann in den Besitz des Kunden über.

Nun lebt nicht jeder in einem Einfamilienhaus mit eigenem Dach oder Garten. Was kann ich tun, wenn ich in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus lebe?

Grundsätzlich bieten wir zwei Pakete an: das Zu-Hause-Paket für alle, die die Möglichkeit haben, ihr eigenes Zuhause fit für die Energiewende zu machen; und das Gemeinde-Paket, wo wir für mehrere Haushalte, aber auch kleine und mittlere Unternehmen vor Ort in ihrer Gemeinde in erneuerbare Energien investieren und den erneuerbaren Strom und Wärme zum Fixpreis nach Hause liefern. Das spart Geld und gibt große Energiesicherheit, weil Strom und Wärme hier lokal vor Ort produziert werden und die Anlagen von der Burgenland Energie errichtet und gewartet werden.

In der Theorie klingt das sehr eingängig. In der Praxis ist es in den einzelnen Gemeinden vermutlich nicht immer ganz so einfach, oder?

Seit ich in der Energiebranche tätig bin, höre ich jeden Tag, was alles nicht geht. Es heißt immer, wir brauchen das, wir brauchen jenes, vorher können wir nichts tun. Aber letztlich sind das alles Ausreden. Faktum ist, wir haben im Burgenland die natürlichen Energieressourcen, die wir brauchen, und wir haben die Technologie, um sie zu nutzen. Natürlich stehen wir vor Herausforderungen und brauchen auch einen Erwartungsrealismus bezüglich der Umsetzung. Wir haben zurzeit eine so hohe Nachfrage nach unseren neuen Produkten, dass potenzielle Kunden aufgrund der Wartezeit schon ungeduldig werden. Ich verstehe das natürlich voll und ganz. Aber ich darf versichern, dass jeder drankommt.

Wie viele PV-Anlagen montiert die Burgenland Energie pro Tag?

Während andere Energieversorger zurzeit gar keine PV-Anlagen liefern können, installieren wir circa fünf Anlagen am Tag. Unsere Lager sind zum Glück gut gefüllt, weil wir uns vor zwei Jahren so aufgestellt haben, dass wir direkt bei den Herstellern einkaufen. Aber natürlich sind unsere Kapazitäten begrenzt. Am Ende ist das alles händische Arbeit von Fachleuten. Ich würde sagen: Wir können stolz sein auf das, was wir schon erreicht haben. Wir müssen das aber auch als Motivation nehmen, um noch viel mehr zu erreichen. Es liegt noch ein langer Weg vor uns.

Wohin soll dieser Weg aus Ihrer Sicht am Ende führen?

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Burgenland gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen kann und wird. Wir bauen gerade unser ganzes Energie- und Wirtschaftssystem um. Das ist das größte Infrastrukturprogramm seit dem Zweiten Weltkrieg. Und wenn die Wende einmal geschafft ist, wird das Burgenland enorm davon profitieren. Wir haben schon bei der Windkraft bewiesen, dass wir Vorreiter sind. Heute sind wir bei der Sonnenkraft wieder die Ersten. Das kleine Burgenland kann hier in der Welt wirklich etwas zum Positiven verändern. Das Interesse an unserer Arbeit ist enorm.

Woher kommt dieses Interesse konkret?

Das Thema Nummer eins ist natürlich überall die Frage, wie kommen wir zu Energieunabhängigkeit und Klimaneutralität. Durch die aktuelle Energiekrise in Europa erleben wir, dass ein fossiles Energie- und Wirtschaftssystem nicht sicher und leistbar ist.

Wer erneuerbar erzeugt, fährt insgesamt günstiger und schützt unser Klima. Die Umsetzung unseres burgenländischen Ziels – 100 Prozent Erneuerbare und null Emissionen – weckt weltweit großes Interesse. Gerade erst jüngst hatten wir die Botschafter aller südamerikanischen Länder zu Gast, den Botschafter von Saudi-Arabien und von Australien, die Botschafterin der USA. Und der deutsche Botschafter hat gerade sein Interesse an einem Besuch angemeldet. Ich sage aber auch ganz offen: Mir geht es bei unserer Arbeit nicht um unsere Position in der Welt, sondern es geht mir um unsere Kinder und Enkelkinder. Unseren Entscheidungen haben große Auswirkungen darauf, wie die nächsten Generationen leben werden. Wer mit sauberer Energie Versorgungssicherheit leistbar anbieten kann, wird einen riesigen Wettbewerbsvorteil haben.

Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick in die nähere Zukunft: Wie werden sich die Energiepreise 2023 im Burgenland entwickeln?

Ich bin stolz, dass es uns im Gegensatz zu anderen bisher gelungen ist, mit sehr großen Anstrengungen die massiven Verteuerungen am Markt für unsere Haushaltskunden abzufedern. Was das Jahr 2023 betrifft, arbeiten wir gerade sehr intensiv an einer Lösung. So viel kann ich bereits sagen: Auch wir sind von den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise voll betroffen. Aber wir werden alles Mögliche tun, um ein gutes Preismodell zu haben, das auch unseren Weg in Richtung Energieunabhängigkeit unterstützt.