Heute

Kaninchen statt Hermelin

Im Echomedia Buchverlag ist ein fulminantes Werk mit eindrucksvollen Fotografien über die Geschichte des Burgenlandes erschienen. Dominik Orieschnig hat die Geschichte des Burgenlandes anhand von Personen, Orten und Objekten in einem Prachtwerk äußerst lesenswert niedergeschrieben. Besonderes Augenmerk hat Orieschnig, der bis Juli 2022 für die katholische Kirche im Burgenland gearbeitet hat, auf die Geschichte der Diözese Eisenstadt gelegt. 

 

 

Mein Burgenland hat im Folgenden einen Auszug des Vorworts abgedruckt: Als ich im Frühjahr 2012 beruflich von Wien ins Burgenland ging, rechnete ich mit pannonischer Entschleunigung. In den Ohren hatte ich den verheißungsvollen Ausspruch eines deutschen Kardinals, der sich im Fernsehen gerne die Serie „Der Winzerkönig“ anschaute und einmal meinte, wer im schönen Burgenland Bischof sei, müsste eigentlich Kurtaxe an den Papst zahlen. Dies, so dachte ich, könne auch für einen Mitarbeiter des Bischofs kein Nachteil sein. Ich sollte mich gehörig täuschen. Das so harmlos und bescheiden daherkommende Land hat mich mit Haut und Haaren verschluckt, wie der Schlamm auf dem Grund des Neusiedler Sees meine Zehen beim ersten Hineinwaten. Heute, ein Jahrzehnt später, zähle ich die Zeit im Burgenland zu den bisher anspruchsvollsten Phasen meines Berufslebens.

Das Haus Burgenland
Als nach 1920 die Bewohner Deutsch-Westungarns gezwungen waren, aus der Asche des Ersten Weltkriegs ein neues österreichisches Bundesland zu formen, mussten sie in dieser Stunde null um eine tragfähige Identität als Gemeinschaft ringen. Dabei spielte das alte „Haus Kirche“ mit seinen Traditionen, seinen Symbolen und seiner Infrastruktur eine entscheidende Rolle. Das „Haus Burgenland“, so der frühere Landeshauptmann Karl Stix 1995 in überaus hellsichtiger Geschichtsauffassung, verdankte seinen „Schlussstein“ und seine Konsolidierung der Gründung der Diözese Eisenstadt im Jahr 1960. Nicht von ungefähr wird der Reigen der in diesem Buch gezeigten Objekte mit der päpstlichen Gründungsurkunde der burgenländischen Diözese begonnen. Man kann das Burgenland nicht erklären, ohne das komplexe Zusammenspiel zwischen Gesellschaft, Politik, Religion und Kirche zu analysieren.

ZUM AUTOR

Dominik Orieschnig war bis Juli 2022 in der Diözese Eisenstadt tätig. Davor war er Rechtsreferent der Österreichischen Bischofskonferenz und
Kulturjournalist. Der promovierte Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie Wien ist Autor mehrerer Bücher. Hohe Kulturaffinität hat Orieschnig sich bereits in der Kindheit als Solist der Wiener Sängerknaben erworben.

Ein Theatermantel

Das im Oktober 1960 in Eisenstadt einlangende Erhebungsdekret des Papstes war noch auf Latein verfasst, allzu viele burgenländische Geistliche konnten es nicht mehr lesen, der hochgebildete Klerus war ab 1922 nach Ungarn abgezogen worden. Eine deutsche Abschrift wurde eiligst angefertigt. Der Mantel, den der erste Bischof der Diözese bei den Feierlichkeiten trug, war nicht das, was er darzustellen vorgab: Die eigens für Stefan László angefertigte Cappa Magna war ein besserer Theatermantel, der den beim Festakt in Eisenstadt anwesenden Spitzen von Staat und Land Geschichtlichkeit, jahrhundertealte kirchliche Würde und kulturelle Kontinuität vermitteln sollte. Weder Maße noch Material noch Farbe des herbeigeschneiderten Phantasiekostüms stimmten mit vatikanischen Kleidungsvorschriften überein. Statt mit Hermelin war der Mantel mit burgenländischem Kaninchen besetzt. Das Land, vom eigenen Landtag noch Ende der 1950er-Jahre als „Entwicklungs- und Notstandsgebiet“ bezeichnet, war arm, aber erfindungsreich. Mitten im beginnenden Kulturbruch des Jahres 1960 spielte man sich und den anderen etwas vor, aber der identitätsverfestigende burgenländische Moment mit seiner eigenen, ernst zu nehmenden Wahrheit verlangte nach diesem Spiel.

Goldene Schuhe am Ball

Das junge Bundesland, an das man 1921 nicht einmal auf dem Wiener Ballhausplatz geglaubt und das, wie Aschenputtel im Märchen, einen Kunstnamen erhalten hatte (der überhaupt nichts mit den vielen Burgen im Land zu tun hatte), klopfte sich nun, im Scheinwerferlicht einer päpstlichen Diözesanerhebung stehend, endgültig die letzten Aschenreste von den Schultern. Wie Aschenputtel auf dem königlichen Ball trug auch der erste Bischof der Diözese Eisenstadt beim Festakt im Eisenstädter Dom goldglänzende Schuhe. Die Kirche war, ähnlich den guten weißen Tauben oder der guten Fee im Märchen, die einzige Institution, die den in die Tiefenschichten des Donauraums zurückreichenden pannonischen Erinnerungsfaden nie hatte abreißen lassen.