Kolumne

Stadtgespräche

Gibt es Eisenstadt überhaupt? Oder ist es – wie das deutsche Bielefeld – eher ein Gerücht? Die einen sagen so. Die anderen auch.

 

Unlängst entfuhr der Wirtin, die doch sonst so bewundernswert ertragensreich ist, Folgendes: „Mit euch ist’s fast ärger wie mit die Philosophern.“ Wir waren ein wenig ins Debattieren gekommen. Der Hans vulgo blauroter Methusalem hatte behauptet, dass es Eisenstadt gar nicht geben könne. Dieser Name sei – „wie das Stadterl selbst“ – eine Verwechslung. Nie und nimmer habe es hier Eisen gegeben. In Vasvár unten, in Eisenburg, dort schon. Aber hier? Das Eisen in Eisenstadt – gab der wegen seiner G’scheitheit wegen Siebener Genannte dem Blauroten recht – sei in der Tat schwer zu erklären. Wahrscheinlich käme es aus dem Slawischen. Immerhin heißt es auf Kroatisch Željezno, die Eiserne. Die Juden waren sich diesbezüglich unsicher. Sie nahmen nur die Initialen des verfänglichen Namens. Asch sagten sie. „Aber“, rief der Blaurote durchs schwellende Stimmgewirr, „damit haben sie den berühmten Rabbi Meir Eisenstadt gemeint. Eisenstadt, Aisenstadt, ist nach dem Rabbi benannt, nicht umgekehrt!“ Die Roma sagen Tikni Martona. Sie haben es von den Ungarn oder umgekehrt. Die Ungarn sagen bis heute unverdrossen Kismarton. „Und Kleinmartin“, so der Siebener, „hat’s auch auf Deutsch einst geheißen. In alter, noch vom Fränkischen berührten Sprache: Wenig Mertersdorf.“

Eine der bezauberndsten Seiten des Pannonischen ist es, dass im Grunde niemand – und damit ein jeder – genau sagen kann, was wie von was kommt. Die Völker siedeln hier seit eh und je nicht nebeneinander, sondern ineinander. Und aneinander hat man hat sich, nicht nur sprachlich, hemmungslos bereichert. Das macht Pannonien so reich. Und streitlustig manchmal.

Des Siebeners Hinweis aufs einstige Kleinmartinsdorf, das da und dort auch als Gering Mertendorf auftauchte, konterte der ältere der zwei Tisch-Jakobiner damit, dass dieses „Mertersdorf oder Mertendorf“ mit dem heiligen Martin nichts zu tun habe. Sondern im Gegenteil: „Das meint, was auch das französische ,merde‘ heißt. Im übertragenen Sinn: Kot, Lehm.“ – „Dreck?“, fragte der Siebener hinterhältig. – „Wenn du so willst.“ Und schon war – gewissermaßen – die Merten am Dampfen. Der Siebener stammt ja aus Gering Mertendorf. Der Blaurote aber aus Nagymarton, was man sich – der jakobinischen Theorie folgend – als Großmartin nur schöngeredet hat. „Denn wenn Kismarton“ – tut mir leid, so sagte es der Siebener – „schon das kleine Drecks . . . ist, was ist dann Groß- Martinsdorf?“

Das mit den Philosphern – ich höre ganz gut, aber manchmal nur, was mir passt – war ein Hörfehler. „Viel’ B’soffene“, habe sie gesagt, so die Wirtin. Sie wisse, dass es im Schöndeutsch „als“ hätte heißen müssen. Und den Dativ beherrsche sie auch. „Wir sind ja in Pannonien, im Sprachenwunderland!“ – „Los zui, Bui“, sprach sie ein Machtwort in meine Richtung, „Sprachendurcheinanderland hab i g’sagt.“