Morgen

Starke Verbündete im Burgenland

Martin Selmayr, 51, war Generalsekretär der EU-Kommission und leitet heute die Vertretung der Kommission in Wien. Mit Mein Burgenland spricht er über die Gefahr für Europa, Burgenlands Einfluss in der EU und seine ersten Erfahrungen in Österreich

INTERVIEW: WOLFGANG ZWANDER

MEIN BURGENLAND:Herr Selmayr, Sie waren über viele Jahre lang eine der einflussreichsten und, wie viele sagen, mächtigsten Personen auf europäischer Ebene. Seit nunmehr mehr als zwei Jahren sind Sie in Österreich tätig. Wie haben Sie diesen Wechsel erlebt?

MARTIN SELMAYR: Ich empfinde meine Arbeit in Österreich als sehr bereichernd. Nach mehr als 20 Jahren in Brüssel ist es sehr angenehm, nah an den Menschen und in den Regionen zu sein. Mir hat die Arbeit in Brüssel viel Spaß gemacht, aber wenn man 20 Jahre lang in Konferenzr.umen und Verhandlungen mit Diplomaten sitzt, dann ist es schön, wieder vor Ort zu sein. Ich freue mich, dass ich in Österreich sehr freundlich aufgenommen worden bin. Und ich mag es, dass ich hier ganz direkt mit den Sorgen und Erwartungen von Menschen konfrontiert bin, die nicht Teil der EU-Blase sind.

Sie haben sich in Brüssel als Teil einer EU-Blase empfunden?

Ja, das ist ganz normal und bis zu einem be-stimmten Grad auch notwendig. Es gibt eine Wiener Blase, eine Eisenstädter Blase und natürlich auch eine Brüsseler Blase. Daher ist es für mich sehr bereichernd, dass ich hier nun in Österreich wieder einen neuen Zugang zu den Dingen erhalte.

Wie gut haben Sie Österreich und seine unterschiedlichen Regionen bereits kennengelernt – und welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?

Ich war sehr viel mit dem Fahrrad in Österreich unterwegs, um die Menschen und das Land noch besser kennenzulernen und zu verstehen. Eine spannende Erkenntnis dabei war für mich, wie sich die Ost-West-Ausdehnung Österreichs auswirkt und wie unterschiedlich etwa die Men-schen und Stimmungen in Vorarlberg, Tirol, Wien und im Burgenland sind. Davon abgeleitet gilt für ganz Europa wie auch für Österreich aus meiner Sicht, dass man sich auf diese Vielfalt bewusst einlassen und dass die Politik darauf aufbauen muss. Wichtig ist auch, dass man auf die Marktplätze geht und hört, was die Men-schen zu sagen haben und wo sie der Schuh drückt. Denn das erfährt man nicht aus den  Gesetzbüchern. 

Das Burgenland gilt als sehr europafreundlich. Was macht aus Ihrer Sicht ein proeuropäisches Land aus?

Proeuropäisch heißt, konstruktiv an Europa mitzuarbeiten. Und nicht zu erlauben, dass  Erfolge nationalisiert und Misserfolge auf die europäische Ebene abgeschoben werden. Und da weiß ich, dass ich im Burgenland auf sehr starke Verbündete zählen kann.

Ich bin stolz, Europäer zu sein. Und ich freue mich, jetzt im Herzen dieses Kontinents leben zu dürfen.

Martin Selmayr

Wie sehr hängt die burgenländische Haltung zu Europa Ihrer Meinung nach damit zusammen, dass die sehr positive Entwicklung des Burgen-lands auch mit EU-Förderungen verbunden ist?

Förderungen sind wichtig. Das sieht man auch im Burgenland, das Förderungen gebraucht hat, weil es für lange Zeit an der Außengrenze, direkt am Eisernen Vorhang, gelegen ist. Aber es sind keinesfalls nur die Förderungen, die für eine proeuropäische Sicht relevant sind. 

Was ist darüber hinaus entscheidend?

Am Beispiel Burgenland sieht man besonders gut die grundsätzlichen Vorteile, die uns ein of-fenes Europa bringt. Regionen wie das Burgen-land profitieren ganz stark vom Außenhandel. Österreich zählt überhaupt zu den Exportwelt-meistern. Dafür braucht es aber auch starke Partner, die Österreichs hochqualitative Pro-dukte kaufen, darunter viele aus dem Burgen-land, wie etwa der burgenländische Wein, der an jeden französischen Rotwein herankommt – wie ich selbst schon feststellen durfte. Hier pro-fitieren das Burgenland und Österreich davon, dass man in der EU Teil einer Wirtschafts-, Rechts- und Wertegemeinschaft ist. Aber eben auch Teil einer Solidargemeinschaft. Auch dieser Punkt verdeutlicht sich besonders gut im Burgenland, das an drei EU-Mitgliedsstaaten grenzt. Die Slowakei, Ungarn und Slowenien  gewinnen ohne Zweifel wirtschaftlich durch die EU, was aber wiederum positive Rückwirkungen auf das Burgenland hat. Wenn es der Slowakei, Ungarn und Slowenien gut geht, geht es tendenziell auch dem Burgenland gut. Das wird, so ist mein Eindruck, im Burgenland besonders gut verstanden. Das alles ist aber nur möglich, wenn rund um Österreich herum Frieden und Stabilität herrschen.

Womit auch das traurige Thema des Kriegs in der Ukraine angesprochen ist. Wie kann sich aus Ihrer Sicht ein EU-Staat wie Österreich in dieser bis vor Kurzem fast undenkbaren Situation bestmöglich verhalten? 

Es ist wichtig, dass alle EU-Staaten jetzt fest und geschlossen an der Seite der Ukraine stehen. Und das tun sie. Österreich hat mehrfach klargemacht, dass es zwar militärisch neutral ist, aber nicht gegenüber europäischen Werten und dem Völkerrecht. Beides verletzt Putin auf brutalste Weise. Österreich leistet wertvolle humanitäre und finanzielle Hilfe für die Ukraine und nimmt Menschen auf, die aus der Ukraine geflüchtet sind. Die EU-Staaten haben zudem – natürlich mit Unterstützung Österreichs –  beispiellose Sanktionspakete beschlossen, um sicherzustellen, dass Putin einen hohen wirt-schaftlichen Preis für seine Aggression zahlt.

Was würden Sie sagen, ist über den Krieg in der Ukraine hinaus die größte Gefahr für Europa?

Die größte Gefahr ist, wenn wir Europa für selbstverständlich nehmen würden. Wenn wir das Europa der offenen Grenzen, des Wohl-stands und des friedlichen Miteinanders nicht mehr im Alltag leben und wertschätzen, dann kann Europa einem durch die Finger rinnen. Deshalb sollte man die Ärmel jeden Tag hochkrempeln, damit Europa weitergeht und auch noch besser wird.

Ganz persönlich gefragt: Welche Emotion verbinden Sie mit Europa?

Ich bin stolz, Europäer zu sein. Weil Europa der sicherste und wohlhabendste Kontinent ist und hier über Jahrhunderte für Werte wie Sicher-heit und Rechtsstaatlichkeit gekämpft worden ist, die Europa heute ausmachen. Und ich freue mich, jetzt im Herzen dieses Kontinents leben zu dürfen, im schönen Österreich.

In welche Richtung entwickelt sich die EU aus Ihrer Sicht?

Europa wächst mit uns und entwickelt sich mit uns und unserem Handeln weiter. In seinen Gründungsverträgen hat Europa definiert, dass es eine immer engere Union werden will. Das  ist ein sehr gutes Ziel. Aber nichts ist perfekt, wir müssen jetzt und heute dafür sorgen, dass Europa immer noch ein Stück besser wird.

Was hat ein Land wie das Burgenland dabei für Möglichkeiten?

In einem föderalen Staat mit starken Ländern, wie es in Österreich der Fall ist, lebt man Europa auf allen Ebenen. Das Burgenland ist ein großes Vorbild, wie man Politik auf europäischer Ebene sehr proaktiv mitgestalten kann. Es gibt ein Burgenland-Büro in Brüssel, es gibt burgenländische Abgeordnete im Europäischen Parlament und im Ausschuss der Regionen und vor allem einen burgenländischen Landeshauptmann, der sich regelmäßig mit der  Europäischen Kommission austauscht und der sehr aktiv für ein offenes, starkes Europa der Solidarität und der Menschlichkeit eintritt.