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Unzufriedenheit ist eher eine moderne Erscheinung

Eine Begegnung mit dem Historiker Gerald Schlag, um am Ende der Jubiläumsjahre 2021/22 noch einmal die bewegte Geschichte des Burgenlandes einzuordnen. 

© Reinhard Judt/Quelle: Burgenländisches Landesarchiv, BF-Fotosammlung

Das Burgenland ist das jüngste Bundesland Österreichs. Und es ist in der jüngeren Vergangenheit wohl auch das Bundesland mit der dynamischsten Geschichte. Nach 1945 steckte es noch für ein Jahrzehnt tief in der sowjetisch verwalteten Zone. In Regierungsbüros zwischen Wien und Budapest gab es damals sogar Überlegungen, das Burgenland wieder an das ebenfalls von der Roten Armee kontrollierte Ungarn anzuschließen. Doch Moskau gab – anders als in Deutschland – keine Zustimmung zur damit verbundenen Teilung Österreichs. Nach dem Abzug der alliierten Kräfte blieb das Burgenland noch bis zum Jahr 1989 eng an den Eisernen Vorhang gedrängt. Es war ein abgelegener Landstrich im westeuropäischen Abseits, in den spürbar weniger investiert wurde als in die westlicher gelegenen Länder.

Vom Rand ins Zentrum

Erst der Fall des Eisernen Vorhangs sowie Österreichs Beitritt zur EU und die damit verbundenen Fördergelder brachten die Wende. Das Burgenland lag nun nicht mehr an der Peripherie des Westens, sondern war im Zentrum eines offenen Europas angekommen. Und es nützte und nutzt den Rückenwind dieser neuen Situation, um sich in vielen Bereichen an die Spitze zu arbeiten. Die Energie- Politik des Landes sei hier nur stellvertretend für viele andere Bereiche genannt.

Spricht man mit Burgenlands großem Historiker Gerald Schlag, dann sagt er, dass das Burgenland mit seiner Rückkehr in die Mitte einfach nur wieder seinen alten Platz eingenommen hat. Mein Burgenland hat Schlag, 81, zu einem Gespräch getroffen, um mit ihm gemeinsam am Ende dieses Jahres noch einmal auf das große Jubiläum „100 Jahre Burgenland bei Österreich“ zurückzublicken. Doch dieser Rahmen erwies sich beim Treffen in der Bäckerei Wagner in Eisenstadt sogleich als zu klein. Das Gespräch ließ sich nicht aufs 20. Jahrhundert beschränken.

Das Durchhaus Burgenland

Schlag sagt, das Burgenland war seit jeher ein „Durchhaus“. Ein Ort, der andere Orte verbindet. „Man kann von allen Seiten rein und raus. Das Burgenland liegt seit der Antike an zwei europäischen Achsen. Eine Ost- West-Achse entlang des Nordost-Rands der Alpen durch das Donautal; und eine Nord-Süd-Achse von Rom über 

Aquileia durch das Burgenland nach Wien bis an die Ostsee, die alte Bernsteinstraße.“ Diese beiden Achsen haben bis ins 20. Jahrhundert Handel und Armeen durchs Burgenland geführt. „Man war hier immer gewohnt, dass stets neue Leute gekommen sind. Und manche sind auch picken geblieben. Ihre Familien leben nunmehr seit vielen, vielen Generationen bis heute im Burgenland“, sagt Schlag. „Dieses Wir-sind-wir-Gefühl, das sich in manchen Alpentälern breit gemacht hat, das gab es hier jedenfalls nie.“ Hier war immer ein buntes Miteinander – oder zumindest Nebeneinander. Zurück ins 20. Jahrhundert. Zum Verhältnis Burgenland und Österreich. Was war das am Anfang für eine Beziehung?

Hyperinflation und Verlust von Sopron

Schlag sagt, als das Burgenland Anfang der 1920er zur jungen Republik kam, war Österreich in einem katastrophalen Zustand. Hyperinflation trieb ihr Unwesen, die Überlebenschance des neuen Staats wurde offen in Frage gestellt. Das Burgenland wiederum, bis dahin eben ein Teil Ungarns, hatte mit Sopron sein urbanes Zentrum nicht nach Österreich mitnehmen dürfen. Wirtschaftskreisläufe und Familien wurden zerrissen. Den Norden des Burgenlandes zog es nach Wien und den Süden nach Graz. Zwischen Nord und Süd selbst gab es kaum Verbindungen. Schlag erinnert sich, dass die Geschichte Westungarns bzw. des Burgenlandes noch in den 1960er-Jahren ein unbekanntes Kapitel an der Universität Wien war. Überhaupt wurden in dieser Generation an den Schulen und an der Universität fast ausschließlich Westsprachen gelehrt und gelernt. Der Osten blieb unbeleuchtet. Und selbst burgenländische Geschichte-Studenten forschten eher an westösterreichischen Themen als an burgenländischen.

Was hat das junge Land zusammengehalten?

Schlag sagt, das war „die soziale Frage“. In den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg ging es dem Burgenland ökonomisch zwar schlechter als den anderen Bundesländern, aber die Menschen waren froh, dass es ihnen zumindest besser als den alten Verwandten in Ungarn ging. Das hat zusammengehalten. Und dass es langsam, aber doch stetig besser wurde. „Unzufriedenheit“, sagt Schlag, „ist eher eine moderne Erscheinung.“ 

Stabilisierende Großparteien

Im Burgenland habe sich nie ein organisches Großbürgertum herausgebildet, das das Land dominiert hätte. Stabilisierend seien die Politik und die Großparteien gewesen. „Und Österreich wie das Burgenland seien mit dem von den Großparteien dominierten System in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ja auch nicht ganz schlecht gefahren“, sagt Schlag.