Kolumne

Die Wirtin und der Rabbi

Die pannonischen Lande waren stets auch jüdische Lande. Das sollte niemand leichtfertig vergessen. Gerade jetzt nicht

Unlängst hat die Wirtin wieder die kleine Menora entzündet. Die hat ihr vor Zeiten ein Rabbi vermacht, den es damals hierher verschlagen hatte. Ob er wirklich ein Rabbiner war, weiß ich nicht. Aber wir sagten so zu ihm. Denn erstens fragte er nach jüdischen Geschichten und zweitens war er weise und manchmal richtiggehend gewitzt. So kamen wir ins Reden, er setzte sich herüber. Und bald war er einer von uns, zumal die Wirtin – „Ausnahmsweise, nur zur Feier des Tages!“ – eine Flasche Koscherwein aus Mönchhof aufmachte. Ja, den vom Hafner. Ein Zweigelt.

Zwei Wochen später revanchierte sich der Rabbi mit der bronzenen Menora, dem siebenarmigen Leuchter, der seinen Ehrenplatz gefunden hat auf dem Holzbord oberhalb der Schank, gleich neben dem heiligen Florian. Das traf sich gut. Denn die Geschichte über die einst so gerühmte jüdische Ortsfeuerwehr wollte er ja hören. „Die pannonischen Lande“, so hob dann der blaurote Methusalem an zu dozieren, „sind stets auch jüdische Lande gewesen.“ Kein Zufall, meinte er, dass Israel seine letzten Heimspiele zur Europameisterschafts-Qualifikation in Ungarn ausgetragen hat. Der ältere der beiden Jakobiner ergänzte: „Und falls wer zweifelt, lese bitteschön Ephraim Kishon, den großen Israeli, der als Hoffmann Ferenc auf die Welt gekommen ist.“ Oder schlage, ergriff der jüngere Jakobiner das Wort, „das wunderherrliche Krautfleckerl-Rezept der Tante Jolesch nach“. Alles pannonisch-jüdische Perlen.

„In einem raubziehenden Blutrausch ohnegleichen“, dämpfte der Rabbi das Schwelgen, „ist das freilich alles beendet worden.“ Am nördlichen Stadtrand von Jerusalem erinnere bloß noch das Kirjat Mattersdorf an die pannonische Zeit vor der Katastrophe. Der wegen seiner G’scheitheit so genannte Siebener holte tief Luft zur Rede. Der Rabbi aber kam ihm zuvor. „Euer Landeshauptmann hat sich jetzt die jüdischen Altertümer vorgenommen. Die Synagogen in Kobersdorf und Schlaining wurden hergerichtet. Wirklich hübsch.“ Jetzt, sagte der ältere Jakobiner, würde er sich gar „jüdisches Leben“ darin wünschen. „Das will ich gerne glauben“, nickte der Rabbi, „denn jetzt, da die alten Ruinen dastehen wie neu, jetzt merkt einer erst so richtig, wie leer sie sind.“

Die Wirtin hatte Kerzen hervorgekramt und die Menora damit bestückt. „Die Menora“, erläuterte der Rabbi, „symbolisiert für mich einen Baum. Unter dessen Krone sammelt sich das jüdische Volk, wenn es in Bedrängnis ist. Und wann wäre es das nicht?“ Währenddessen hatte die Wirtin ganz hinten im Eiskasten eine Flasche gefunden. Die Flüssigkeit darin goldgelb, ölig: „Kosher szilvapálinka!“ Sogar die Wirtin hob ein Glas: „Frohes Chanukka!“ Zur Feier des Augenblicks erhob – „In Gott’s Nam“, murmelte der Blaurote in seinen Bart – der Siebener die Stimme: „Das jüdische Lichterfest, Chanukka, fiel heuer auf die Woche zwischen 7. und 15. Dezember.“

 

Eine Kolumne von Wolfgang Weisgram