Kolumne

Pannonische Grenzfälle

Unlängst behauptete der Wirt, Pannonien sei, mehr oder weniger, ohne feste Grenzen. Natürlich gebe es solche.

„Es gibt ja auch Gegenden, die nicht Pannonien sind.“ Aber abgesehen davon, dass dort „niemand Ordentlicher“ hinwolle, seien auch die Grenzen eher diffus. Sie flirren. „Wie bei so einem délibáb, einer Luftspiegelung.“

„Na ja“, widersprach der ältere der beiden Jakobiner, „ganz kann ich dem nicht zustimmen. Denn unverrückbare Grenzen kenne selbst „der grenzenloseste Pannonier, den ich kenne“: Lajos Adamik, „ihr wisst schon“, jener ungarische Übersetzer, „der wunderbarerweise eh schon Gast war bei uns am Tisch“. Große Dichter – von Thomas Bernhard bis Adalbert Stifter – hat er ins Ungarische hinübergedichtet. 2022 wurde er als erster Ungar ausgezeichnet mit dem Österreichischen Staatspreis für literarische Übersetzungen.

Der wegen seiner G’scheitheit so genannte Siebener war bei Adamiks Besuch mit dabei und holte schon Luft zum Reden. Der blaurote Methusalem aber war – mehr der Not zum Unterbrechen gehorchend als der Trefflichkeit des Erinnerungsvermögens – g’schwinder: „Ja ja, ich erinnere mich an ihn.“ Der jüngere Jakobiner übernahm: „Ein überaus feiner Kerl, der die Grenzen zwischen Deutsch und Ungarisch niederreißt wie nix.“ Wahrscheinlich, so ergänzte der Blaurote, während er das beliebte Bestellzeichen mit dem kreisenden Zeigefinger gab, „ist das nicht nur sprachlich gemeint.“ Seine Frau ist Chefin des Collegium Hungaricum in Berlin. Und ist Berlin nicht gerade der Brennpunkt ungarisch- europäischer Grenzenlosigkeit? Trotzdem flirrt es selbst dort.

„Die eine Grenze aber“, meinte jetzt der ältere Jakobiner zum Wirt, „war dem Lajos Adamik immer lieb und teuer. Wahrscheinlich war er wegen der Übersetzungen von Bernhard und Stifter zu viel in Oberösterreich.“ Darum sei ihm im Hin- und Herfahren ein Umstand besonders aufgefallen: „Östlich von Wien verläuft eine unsicht-, aber umso sicher schmeckbare Grenze: die Nockerlgrenze.“ Westlich davon gilt als Beilage nur das große Runde in all seiner böhmischen Vielfalt: Erdäpfel in allen Variationen, Semmelwürfel, Topfen, Germteig fürs besonders Fette. Östlich aber gibt es, wenn es denn schon Beilagenknödel gibt, nur die aus Semmelbrot. Ansonsten nur Nockerl. Uns ist das Wort allein schon wie von Verdi komponiert: Gnocchi! Das diesbezüglich grenzüberschreitende Heiraten gestaltet sich freilich oft kompliziert; nicht selten ein Quell innerfamiliärer Verwerfungen. Es gibt Grenzen, die sollte man nur mit Bedacht überschreiten. Oder mit viel Liebe.

„Obwohl“, träumt sich der Wirt in sich hinein oder aus sich heraus, „Waldviertler Knödel halb roh, halb gekocht. Böhmische Germ-Serviettenknödel. Tiroler Knödel …“Irgendeiner schnalzte unwillkürlich mit der Zunge. Der Siebener? Grundsätzlich die Unschuldsvermutung. Aber!

 

Eine Kolumne von Wolfgang Weisgram