Kolumne
Pannonisch ballestern

Unlängst hat der Wirt wieder einmal den Ball ins Stammtischspiel geworfen. Warum er das häufig tut, hat mancherlei Gründe. Dass er sich darin ganz gut auskennt, ist nur einer davon. Immer wieder weist er auch darauf hin, dass das Fußballspiel – Wie sagt der Ungar zum labdarúgómérkőzés? Focimeccs? – auch eine hiesige, eine pannonische Angelegenheit sei. Rechne man Bécs als halb pannonisch – das müsse man ja wohl –, dann sowieso. Aber selbst zwischen dem kleinen Mattersburg und Budapest spanne sich noch die große Welt zwischen MSV und MTK.
Schon wollte der wegen seiner G’scheitheit so genannte Siebener weitere Vereinsnamen einwerfen –Vojvodina Novi Sad, Inter Bratislava oder Haladás Szombathely –, da ergriff der jüngere der beiden Jakobiner wie ein Glücksengerl das Wort: „Mit Wien zusammen war der pannonische Fußball in der Tat sogar Weltmarktführer.“ – „Bis vor 70 Jahren“, relativierte sein älterer Namenskollege, „da erreichte dann die pannonische Ballesterei ihren
Höhe-, aber auch Endpunkt. Oder nicht, Blauroter?“ Der blaurote Methusalem, beschlagen in – um nicht zu sagen mit – vielen Angelegenheiten, nickte: „Über die Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz reden immer noch alle.“ Alle rechneten, so gut waren die beiden, mit einem Finale zwischen Ungarn und Österreich. Es kam anders. Der internationale Fußball wurde neu definiert mit den Worten von Englands Gary Lineker: „Fußball ist
ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten lang den Ball. Und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“ Ungarn unterlag 2:3. Meist unerinnert bleibt, dass in diesen Junitagen vor 70 Jahren, am 15. Juni 1954, in Basel die UEFA gegründet worden ist, der europäische Fußballverband, Ausrichter der gerade laufenden EM in Deutschland.
„Auch die hatte pannonische Gewichtung“, meinte der Wirt. Der ÖFBPräsident – Josef Gerö mit Namen – wurde Vizepräsident des europäischen Verbands. Auf die Welt gekommen ist er als Gerő József in Szabadka, das die Serben und Kroaten Subotica nennen und die Deutschsprachigen, der großen Herrscherin zu Ehren, Maria Theresiopel. Gelegen ist dieses schöne Städtchen in der Batschka, heute Teil der serbischen Vojvodina. Von den vielen multikulturellen Landstrichen Europas ist das einer der multikulturellsten – und entsprechend zerbrechlichen – überhaupt. Am 15. Juni 1954 wurde beschlossen, den Europa-Pokal der Nationen, die Europameisterschaft der Zwischenkriegszeit, wiederzubeleben. Am 28. Dezember 1954 starb Josef Gerö. Im nächsten Jahr trug die Trophäe den Namen Josef-Gerö-Pokal. Den holte sich 1960 die Tschecho-Slowakei vor Ungarn und Österreich. Dann erst gab es das erste Turnier im modernen Stil. In dem wurde 1960 dann ein Land Europameister, das es auch längst nicht mehr gibt: die Sowjetunion.
Eine Kolumne von Wolfgang Weisgram