Kolumne

Pannonisches Ausdorfen

Durchs grassierende Wirtshaussterben verlieren die Dörfer endgültig ihre kommunikativen Zentren. Und damit sich selbst

Unlängst hat uns die Wirtin wieder einmal in die Pflicht genommen. Zwar haben wir ihr eh schon mehrmals Stein und Bein geschworen, unseren Stammtisch leben zu lassen. Allerdings mit der ab einem gewissen Alter notwendigen Relativierung: „Ja, so mir Gott helfe!“ Diese schöne Redewendung führte einst der zweite Babenberger Heinrich (1107–1177) so häufig, dass man ihn bis heute mit Spitznamen den Jasomirgott nennt. Und wir sind – ich weiß gar nicht, wann sich das eingebürgert hat – das Jasomirgotttischerl. Daneben gibt es noch andere. Auf dem Mordtischerl wird preferencet; auf der b’soffenen Trull tarockiert; der laute Zweier bezieht sich auf die Tischnummer, dort wird, umstanden von lauter kiebizenden Siebenern, geschnapst. Aber das sind Überbleibsel. Einst gab es in allen Dörfern mehrere solcher Wirtshäuser. Demnächst in vielen gar keines mehr. An den Wirtshäusern vollendet sich, was vor Jahrzehnten schon begonnen hat mit den Greißlern: die Dorfverwüstung. Bald gab es auch immer weniger Handwerksbetriebe. Bäckereien schlossen, Fleischhauer, wenig später auch die Postämter, die Gendarmerieposten, Bahnhöfe samt angeschlossenen Restaurationsbetrieben. Dann wurden Vereinsheime eingerichtet. Die Sänger singen nun nicht mehr im Extrazimmer; der Musikverein und sogar die Feuerwehr tagt nun gewissermaßen im Eigenheim. Und so weiter und so fort.

Die beiden Jakobiner setzten gegenläufige Zeichen mit dem Kopf. Der jüngere schüttelte ihn, der ältere nickte. Der wegen seiner manchmal ins Kraut schießenden G’scheitheit Siebener Genannte wollte gegenreden. Da warf aber schon der viel gereiste blaurote Methusalem die seine ins Gerede. „Mit den Wirtshäusern dampfen auch die pannonischen Dörfer endgültig aus, verlieren sich in der konturlosen Beliebigkeit zwischen der französischen Burgund und dem rumänischen Banat.“ Manchen komme das zupass. Denn Dörfler neigten zu ungehörigem Eigensinn und schwurblerischem Widerspruch. Ihm, dem Blauroten, komme auch immer wieder die Endzeit des paläokommunistischen Rumänien in den Sinn. Unverdrossen wollte man noch am Ende der 1980er die Dörfer „systematisieren“; also die Dörfler absiedeln in die neuen, zentralen Hochhäuser, und beschäftigen in den neu zu gründenden LPGs, den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossen schaften. Schon damals galt als Kollateralnutzen solcher Maßnahmen, den Flächenverbrauch und die -versiegelung in den Dörfern bis hin zur Renaturierung zu stoppen. In den Planungsunterlagen sah alles sehr logisch aus. „Ja, aber klingt das nicht nach …?“, klang es aus dem auf einmal recht irritiert wirkenden Mund des Siebeners. – „In der Tat“, gab ihm der Blaurote recht, während sein rechter Zeigefinger der Wirtin geläufig ein Bestellzeichen gab, „so modern klingt es.“

 

Eine Kolumne von Wolfgang Weisgram